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GRÜNDER
Eine Weste als Gehhilfe

Das Start-up Remod hat ein Gerät entwickelt, das halbseitig Gelähmte vor dem Rollstuhl bewahren kann. Ideengeber war die Mutter einer Betroffenen. VON 

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Mutter und Erfinderin Anna (l.) und Tochter Dindia Gutmann, die auf diesem Bild die unauffällige Gehhilfe im Rucksack trägt.   |  © privat

Beim Laufen sieht man es ein bisschen: Dindia Gutmann scheint ein wenig zu humpeln, wahrscheinlich eine kaputte Hüfte, könnte denken, wer die junge Frau auf der Straße trifft. Tatsächlich aber ist die 24-Jährige aufgrund eines Schlaganfalls halbseitig gelähmt. Und dafür kann sie sich erstaunlich normal bewegen. Helfen tut ihr dabei eine kleine schwarze Weste, die sie um die Schultern trägt. In dieser sind Sensoren angebracht, die über Kabel mit zwei Elektroden verbunden sind, die oberhalb und unterhalb des Schlüsselbeins angeklebt werden. „Hemiparesepatienten empfinden die Körpermitte anders und halten sich daher sehr oft schief. Das Gerät gibt mir einen unangenehmen Impuls, der mich daran erinnert, mich aufzurichten“, erzählt Dindia. Mit täglichen physiotherapeutischen Übungen hat sie in jahrelanger Arbeit gelernt, sich wieder zu bewegen. Das Gerät hilft ihr bei der Steuerung dieser Bewegungen. Sie kann wieder ein normales Leben führen, wandert gern und viel, verreist allein und geht in die Disco.

Mittlerweile haben noch mehr Patienten das Gerät getestet, das auf dem Weg zur Marktreife ist. Um VWL-Studentin Dindia hat sich das Start-up Remod gebildet, das für die Entwicklung und Vermarktung des Impulsgebers sorgt, renommierte Medizintechniker und Rehabilitationsmediziner der TU Berlin beraten das Team dabei. Der Prototyp wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, gefördert werden die Gründer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, dem Europäischen Sozialfonds und einem Exist-Stipendium der Europäischen Union. Das Gerät könnte einer großen Zielgruppe Zuversicht geben: 20 Prozent aller Menschen überleben im Laufe ihres Lebens einen Schlaganfall. Ungefähr die Hälfte davon leidet anschließend an einer halbseitigen Lähmung.

Von der Taschenlampe zum Minicomputer

Nur gab es für diese Menschen bislang keine geeignete Therapie oder Hilfsmittel. Das musste auch Dindias Mutter Anna feststellen. Als sie im sechsten Schwangerschaftsmonat war, erlitt Dindia in ihrem Bauch einen Schlaganfall, kam halbseitig gelähmt zur Welt. „Sie lag sehr viel und bekam Spastiken, körperlich ging es ihr gar nicht gut. Auch seelisch wurde ihr Zustand immer bedenklicher. Mit zehn Jahren galt Dindia als austherapiert und sollte in den Rollstuhl“, erzählt Anna Gutmann. Das war für die Mutter inakzeptabel. Sie fing an zu tüfteln: „Hemiparesepatienten haben ein Restempfinden, merken aber nicht, wenn sie sich schief halten. Ich musste also irgendwas finden, das messen konnte, ob etwas in der Waagerechten ist. Ich kaufte alles an Elektronik, was mir irgendwie geeignet erschien und kam schließlich auf einen Quecksilberschalter, der auf Neigung reagiert.“

Und so entstand Anna Gutmanns erste Erfindung: Sie baute den Schalter an eine Taschenlampe, verband alles mit Sensoren und klebte das Gebilde ihrem Kind an die Kleidung. Immer wenn Dindia sich schief hielt, fing die Lampe an zu leuchten. „Das war vielleicht peinlich“, erinnert sich die junge Frau und lacht. Aber der Effekt war enorm: Sie richtete sich auf. Als zweite Version folgte ein Gerät mit akustischem Signal, was nicht minder auffällig war. „Ich wusste, dass meine Erfindungen viel zu grob sind, aber dennoch hatten sie eine positive Wirkung. Als ich an einem Plakat für die Lange Nacht der Wissenschaft vorbeiging, wusste ich, an wen ich mich für die feinere Variante wenden würde“, erzählt Anna Gutmann, die eigentlich Malerin ist. Sie ging zu TU-Medizintechniker Wolfram Roßdeutscher, der von der Idee angetan war. Das war vor acht Jahren.

Inzwischen ist der marktreife Prototyp fertig. Er enthält einen einfach zu bedienenden Computer, der von Ärzten auf unterschiedliche Krankheitsbilder programmiert werden kann. Nun läuft die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten auf Hochtouren, denn in vier Monaten bekommt Remod keine Förderung mehr, dann muss das Unternehmen auf eigenen Füßen stehen. „Bislang haben wir nur Interessenten gefunden, die eine Exit-Strategie verfolgen. Aber das wollen wir nicht. Wir suchen Leute, die sich langfristig engagieren wollen“, sagt Anna Gutmann. Da bislang noch kein Investor gefunden ist, will Remod nun eine Crowdfunding-Aktion initiieren und hofft, so die finanziellen Mittel für den Start des Unternehmens zusammenzubekommen.

Zunächst planen die Gründer die Produktion von 50 Geräten, der Verkaufspreis soll um die 3.000 Euro liegen und damit wesentlich niedriger als bei anderen Bio-Feedback-Geräten, die im Schnitt um die 5.000 Euro kosten. Ideen für weitere Produkte gibt es auch schon.