Abb. oben: Regelprozess der Bewegungsregulierung (modifiziert nach Frohböse 2002)

 

Regelprozesse der Bewegungssteuerung

Das vermeintlich einfache Gehen einer kurzen Strecke im Raum, um beispielsweise ein Glas aus dem Schrank zu nehmen, ist eine Bewegungsaufgabe, zu deren Verwirklichung mehrere Kontroll- und Regelschleifen durchlaufen werden müssen. Diese sollen im Folgenden beschrieben werden.

Informationsaufnahme: Wie in obiger Abbildung veranschaulicht, müssen zur erfolgreichen Lösung einer Bewegungsaufgabe zunächst Informationen über die äußeren und inneren Bedingungen der Zielerreichung aufgenommen werden: zu den äußeren Bedingungen würde in dem o. g. Beispiel gehören, welche Bodenbeschaffenheit gegeben ist (nasser, glatter Boden mit Rutschgefahr oder weicher Teppichboden) oder ob ein Hindernis im Raum, wie beispielsweise Kinderspielzeug, den direkten Weg blockiert. Zu den Informationen über innere Bedingungen gehört etwa, auf welchem Bein das Körpergewicht aktuell ruht etc.

Zur Wahrnehmung dieser inneren und äußeren Bedingungen verfügen Menschen über ein sensorisches System, bestehend aus Sinneszellen, den sogenannten Analysatoren und Nervenverbindungen zu primären und weiteren Feldern im Kortex. Es gibt visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische, taktile, propriozeptive, kinästhetische und vestibuläre Rezeptoren (Froböse et al. 2002; Haus, 2014, Schnabel et al., 2008). Je nach (situativen) Anforderungen der Bewegungsaufgabe sind einzelne oder eine Kombination dieser sinnlichen Analysatoren an der Aufnahme von relevanten Informationen für eine erfolgreiche Lösung dieser Aufgabe beteiligt. Für die Fortbewegung im aufrechten Gang sind maßgeblich die vestibulären, propriozeptiven und visuellen Analysatoren beteiligt (van Cranenburgh, 2007). Muss man jedoch eine Strecke in einem dunkeln Raum zurücklegen, werden zusätzliche oder gänzlich andere Analysatoren benutzt, um relevante Informationen über sich, den Raum und mögliche Hindernisse zu erhalten, nämlich die vestibulären, propriozeptiven und wahrscheinlich auch die auditiven und taktilen Analysatoren (ebd.).

Im Prinzip lässt sich jede Bewegungsaufgabe durch ein sogenanntes Sensorikprofil charakterisieren, aus dem deutlich wird, welche Anforderungen eine Aufgabe an die sinnliche Informationsaufnahme stellt. Dabei sei schon jetzt angemerkt, dass bei Schädigung oder Ausfall einer Sinnesmodalität, wie beispielsweise bei Blinden, die Kompensation durch den verstärkten Einsatz anderer Sinnesmodalitäten angestrebt wird. Informationen über äußere Bedingungen können auch in Form von Sprache aufgenommen werden (ebd.; Schnabel et al. 2008); schwieriger gestaltet sich dagegen die Kompensation fehlender Analysatoren, die unbewusste oder nur teilweise bewusstseinsfähige Informationen aus dem Körperinneren liefern, wie z. B. aus den propriozeptiven oder vestibulären Systemen (Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2012; Haus, 2014).

Informationsverarbeitung: Die zur Lösung einer Bewegungsaufgabe relevanten Informationen werden durch die Analysatoren aufgenommen und über die Nervenbahnen des Rückenmarks an das ZNS weitergeleitet. Dort werden die Informationen an verschiedene kortikale und subkortikale Areale des Gehirns weitergeleitet (verarbeitet) (Froböse et al., 2002; Haus, 2014).

Mentale Bewegungsvorstellung als Plan: Die Weiterleitung der Impulse aus den Analysatoren führt nicht direkt zur Umschaltung auf efferente Nervenbahnen und zur Aktivierung der Motorik, sondern zunächst zur Bewegungsplanung. Ein solcher Plan beinhaltet eine erste Vorstellung oder ein Schema der auszuführenden Bewegung. Erst ein solches Schema ermöglicht es, den Verlauf und Ergebnisse der geplanten Bewegung zu antizipieren und so die laufende Bewegung während der Durchführung zielgerichtet zu kontrollieren (vgl. Steuerung/ Regulation) (ebd.).

Bewegungsprogramm: Zur Umsetzung der Bewegungsvorstellung läuft ein sogenanntes neuronales Bewegungsprogramm, das im Verlauf des Bewegungslernens entstanden ist. Solche Programme „bestehen“ aus gespeicherten Informationen, die beinhalten, in welcher Reihenfolge und in welcher Stärke welche Muskelgruppen aktiviert werden müssen, um eine bestimmte Bewegungsabfolge hervorbringen zu können (Froböse et al., 2002; Haus, 2014, Schnabel et al. 2008).

Steuerung/Regulation: Die Bewegungsausführung verändert die Lage des Körpers und nimmt Einfluss auf die Umwelt. Diese Veränderungen, die durch das eigene Bewegungshandeln entstehen, werden wiederum durch die Analysatoren der Sinnessysteme erfasst auf, man nennt sie Efferenzen. Efferenzen bilden das Feedback des eigenen Handelns. Die Feedbackinformationen werden im ZNS mit der antizipierten Bewegung verglichen. Es findet ein Ist-/Soll-Vergleich statt. Stimmt die Ist-Bewegung (Feedbackinformation) mit der Soll-Bewegung (Bewegungsvorstellung) überein, läuft die Bewegung weiter. Wird ein Unterschied bemerkt, erzeugt dies ein Korrektursignal, das das Bewegungsprogramm entsprechend korrigiert. Die Kontrollschleife beginnt von vorne. Sie läuft solange ab, bis die Bewegung ausgeführt wurde und das Ziel erreicht ist (ebd.).

Man kann also sagen, dass die (Ziel-) Motorik über das Feedback unter ständiger sensorischer Kontrolle steht. Sensorik und Motorik lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten, für die erfolgreiche Bewältigung einer Bewegungsaufgabe ist eines so wichtig wie das andere.